Guildo Horn hat eine wahnsinnig gute Geschichte parat, wenn man ihn fragt, wann und wo seine Liebe zum deutschen Schlager begann. Er erinnert dann an eine Großtante, die keine Kinder gehabt habe – dafür aber ein sogenanntes Cocktail-Zimmer. Zwei Stühle, ein Nierentisch. Und gefühlt ganztägig lief «Der lachende Vagabund» des heiteren Schlagerbarden Fred Bertelmann (1925-2014). «Bei dieser Großtante durfte ich zum ersten Mal Eierlikör zu mir nehmen, auf einer Salzstange», sagt Horn. «Dazu lief Fred Bertelmann. Ich vermute, dass ich dabei oral geprägt wurde.»
Man kann sagen, dass das süßliche Gesöff ganze Arbeit geleistet hat, denn Schlagermusik brachte Horn ganz groß raus. Am Mittwoch (15. Februar) wird der Musiker 60 Jahre alt. Wobei man da nun auch wieder genau sein muss. 60 Jahre wird der Mann, der als Horst Köhler geboren wurde. Guildo Horn – sein Schlagersänger-Ich, das irgendwann aus Horst Köhler erwuchs – sei dagegen schon 70, erläutert er. «Als Schlagersänger altert man einfach schneller.» Horn mag solche Gags.
Was Horst Köhler ist und was Guildo Horn, das lässt sich gar nicht so leicht enträtseln, wenn man vor ihm steht. Klar ist, dass Guildo – natürlich redet man ihn so an – eine imposante Erscheinung ist. Der Händedruck ist fest, die Brille getönt, das nachtblaue Outfit dem Anlass – einem Gespräch über sein Leben und seine Karriere – angemessen. Horn hat gerade in Köln zu tun, beim Fernsehen und Radio.
Hier wohnen, das sei aber nichts für ihn, sagt er. Es hat es gerne ruhig. «Ich bin 1997 nach Köln gezogen. Nach zwei Jahren habe ich aber gemerkt: Ich brauche irgendwie Natur», sagt er. Seitdem lebe er im Bergischen, im Kölner Umland. «In meinem Dorf wohnen vielleicht 150 Leute», sagt er. «Kein Geschäft, keine Kneipe. Auch der Zigarettenautomat wurde irgendwann abgebaut.» Zeitweise hielt er sogar Pferde. Das letzte sei aber mittlerweile gestorben, wenn auch steinalt. «Zum Schluss wurde es eigentlich nur noch von unserer Liebe und Medikamenten zusammen gehalten.»
Beides – das mit dem Kölner Umland und dem Hang zur Ruhe – kann verwundern, wenn man es zum ersten Mal hört. Denn bekannt wurde Horn als großer Sohn seiner Geburtsstadt Trier – und als Musiker, der bei seinen Bühnenshows keinen Stein auf dem anderen lässt. Der Energie verfeuert, als gäbe es keinen Morgen. So gar nicht ruhig.
So war das auch 1998, als er beim Eurovision Song Contest (ESC) in Birmingham mit «Guildo hat euch lieb!» für Deutschland antrat. Horn holte mit dem Lied aus der Feder von Stefan Raab – damals noch nicht auf dem Zenit seiner Bekanntheit – einen guten siebten Platz. Viel bedeutsamer war aber, dass er die deutsche Miesepeter-Haltung zum ESC durchbrach, die sich aus vielen Misserfolgen zusammengebraut hatte.
Bei Horn, der schon mit neun Jahren Gitarre gespielt und irgendwann den Schlager für sich entdeckt hatte, war damals alles anders. Er schwitzte, er tänzelte ins Publikum, er turnte an einer Stange. Er und seine Leute hatten einfach ein Händchen dafür, aufzufallen. Das fing schon bei der Optik an. «Darf dieser Mann für Deutschland singen», fragte die «Bild» damals neben einem Foto des Sängers mit der lichten Zottelfrisur. Ein Schaden war das nicht für ihn.
Was es dafür brauchte? Sicherlich Angstfreiheit. Horn ist gelernter Musikpädagoge, er machte Musik mit geistig Behinderten. «Ohne den Umgang mit geistig Behinderten hätte es Guildo Horn nicht gegeben», sagt er heute. «Ich habe vorher ganz gut Schlagzeug gespielt – aber ich war keine Rampensau. Als ich angefangen habe, bei der Lebenshilfe mit geistig Behinderten Musik zu machen, habe ich erstmal gemerkt, wie wenig die sich schämen und wie sehr die nach vorne gehen», sagt er. «Das habe ich mir abgeguckt. Die haben mich total inspiriert.»
Der Guildo-Hype, der rund um den ESC tobte, ebbte irgendwann ab. Horn aber blieb, spielte Musical, Theater und weiterhin Musik mit seiner Band Orthopädische Strümpfe. In diesem Jahr will er eine neue CD rausbringen zu 25 Jahren «Guildo hat euch lieb!». Er sei einfach «total überzeugt vom Produkt», wie er es nennt. «Ich habe früher mal damit gerechnet, in Trier die sogenannte Tuchfabrik zu füllen. Da passen 500 Leute rein», sagt er. Alles andere sei on top gekommen. Heute spielt er vor 2000 bis 2500 Leuten, wie er sagt.
«So ganz vorne zu sein – das will ich eigentlich nicht», sagt Horn. Es klingt wie ein Fazit. Leute wie Lena oder Raab, die könnten ja nicht mehr auf die Straße. «Mein Leitspruch beruflich ist: zweite Liga, oberes Drittel», sagt er. «Da kann man gut von leben. Und zugleich kann man tun und lassen, was man will.»
Da kann man sogar mal genüsslich eine Salzstange in Eierlikör dippen.